Maritime Geschichten
Dienstag, 29. März 2011
"DDR ahoi"
Mittwoch, 14. April 2010
Telegramm 99 "Letzter Gruß von See"
an Bord des MS "John Brinckman"
von Hardy Riedel
Nach diesem Satz macht der Stift vor meiner Kammertür kehrt und geht den Assigang wieder zurück. Alle Anwohner des Assigangs haben ihre Nasen aus den Kammern heraus gesteckt um das Schauspiel zu verfolgen. Ein großes Gejohle setzt ein."Gut gemacht!"
"Wenn die Stifte nur immer so wohlerzogen wären.""Ja das gibt mindestens einen Pluspunkt auf der Liste."
Ich schüttle meinen Kopf und mir ist wirklich nicht klar was das Schauspiel darstellen soll. Betont langsam schlendere ich zu den anderen, die immer noch amüsiert miteinander sprechen. Matze steht am nächsten. Ich setze mein breitestes Grinsen auf. Das verleiht mir einen leicht dümmlichen Gesichtsausdruck."Was war das denn für eine Aktion? Hat der Bootsmann wieder den Stift verarscht?"Für mich war dies die einzige Erklärung für den Auftritt. Es kam schließlich oft vor das die Stifte verarscht und zum Kielschwein füttern oder zum Bilgenfett holen geschickt wurden.
esse ich betont langsam. Die Liste hatte ich schon beim Eintreten in die Messe bemerkt. Sie hängt gleich links neben der Luke, die zur Kombüse führt. Außerdem machte der Koch jeden potentiellen Täufling darauf aufmerksam. Sobald er einen Täufling von der Kombüse aus, in der Messe entdeckt, zwängt er seinen schmächtigen Oberkörper durch die Luke, zeigt wild gestikulierend auf die Liste.
"Hey du! Schau dir die Liste genau an. Da kannst du für die Äquatortaufe einige Pluspunkte sammeln. Aber wenn du schlecht bist dann gibt es Kreuze, schwarze Kreuze! Weißt du was es heißt wenn du drei schwarze Kreuze hast? Ich sage nur Telegramm neunundneunzig "Letzter Gruß von See". Dann bist du dran."
Bloß keine Blöße geben. Bei dieser Reise ist niemand mehr normal. Die Äquatortaufe liegt überall in der Luft. Die Crew hat sich in zwei Lager aufgeteilt. In Täufer und in Täuflinge. Leute mit denen man sonst gut auskam laberten nur noch davon, wie sie die Täuflinge rankriegen würden. Dabei rollten sie wild mit den Augen und spielten sich auf wie wilde Seeräuber. Irgendwie fand ich das schizophren. Ich wünschte nur die Taufe wäre endlich vorüber und hoffte, dass meine Kameraden wieder normal werden würden. Deshalb gab ich mich auch betont gelassen. Deshalb strafte ich die Liste mit Nichtachtung obwohl es mich schon interessierte. Ich esse extra langsam und warte bis sich die meisten getrollt haben. Nach einiger Zeit stelle ich fest, dass die, die sich noch in der Messe befinden, ausnahmslos selbst Täuflinge sind. Ich stehe auf und gehe an das schwarze Brett, an dem sich die Liste befindet. Neun Täuflinge zähle ich. Die vier Lehrlinge. Das war klar. Die konnten kaum schon eine solche Taufe haben. Dann stehen noch die drei neuen Decksleute auf der Liste. Mich selbst finde ich an vorletzter Stelle auf der Liste. Wer ist der Neunte?Ach du liebe Zeit! Es war nicht der Neunte sondern die Neunte, Herriett.
"Kannst du mir sagen was das alles zu bedeuten hat und was wir da machen sollen?" fragt leise eine Stimme hinter mir. Herriett war beim Abräumen auf dem Weg zur Pandry hinter mir stehen geblieben und studierte zum wer weiß wievielten Male, die Liste.
"So wie ich das sehe, müssen wir beide morgen Abend die Deckshunde ausführen." erkläre ich, ohne einen Blick vom Blatt zu wenden. "Was immer das bedeuten mag." Dabei zucke ich hilflos mit den Schultern.
"Ah! Habe ich euch erwischt!" Kräht es aus der Kombüse. Der Koch zwängt wieder seine Gestalt durch die Luke. "Eine Täuflingsverschwörung! Aber wartet, das bekommt euch nicht!" "Bullettenschmied! Halt die Luft an! Du langweilst."
"Wie hast du mich genannt? Bullettenschmied! Du wagst es als Täufling so mit mir zu reden!" Die Stimme überschlägt sich. "Das gibt Minuspunkte. Fünf Minuspunkte ergeben ein schwarzes Kreuz und drei schwarze Kreuze bedeuten Telegramm neunundneunzig "Letzter Gruß von See" "Ja! Ja! Wir wissen schon." rufen Herriett und ich gelangweilt."Sagt nicht "ja, ja" zu mir!" dröhnt es aus der Luke, "Ja, ja, heißt, Leck mich am Arsch."
"So war das auch gemeint." Gebe ich trocken zu und frage Herriett: "Macht der jetzt Spaß oder knallt der schon durch? Die Reise hat doch erst angefangen."
"Ich glaube dem sind die Eier hoch geschnappt." lacht Herriett, "Aber da kann ich ihm auch nicht helfen."
Dem Koch fällt das Maul zu. Alle in der Messe lachen lauthals. Das hatte gesessen. Ich habe jetzt die Hoffnung, dass der Koch wenigstens für einen Augenblick wieder normal werden würde. Deshalb frage ich ihn ganz sachlich: "Bevor du wieder überschnappst, sag uns lieber was das alles zu bedeuten hat."
Der Koch war jetzt tatsächlich bereit alles zu erklären. Er kann sogar wieder in einem normalen Tonfall reden" Also wir haben da verschiedene Programmpunkte. Mahlzeiten ausrufen, das hat der Stift ja schon gemacht. Das muss jetzt bis zur Taufe in fünf Tagen, jeden Tag ein anderer machen."
"Da hab` ich ja Glück. Ich bin der Achte." stelle ich fest.
"Du hast dafür zwei andere Programmpunkte." Erläutert der Koch weiter. Er sucht meinen Namen auf der Liste und ließt vor: "Hardy Riedel, morgen Deckshund ausführen und übermorgen Seewasserduschen."
"Lesen kann ich selber! Ich will wissen was das bedeutet!"
"Die Deckshunde sind große Pfänder. Der Kabelgeist hat an die Pfänder noch einen kurzen Tampen als Schwanz angespleißt und vorn hat er zwei Augen aufgemalt. Ihr müsst mit denen dreimal an Deck um die ganzen Aufbauten und Deckshäuser herum und immer schön dabei bellen. Das wird bewertet."
Der Koch bekommt langsam wieder seinen irren Blick. Schnell frage ich ihn noch, was es mit dem Seewasserduschen auf sich hat. Der Koch grinst aus seiner Luke heraus. "Da müsst ihr euch gegenseitig mit drei Pützen Seewasser begießen."
"Na, wenn’s weiter nichts ist. Seewasser haben wir ja hier genug." lache ich.
"Nee, nee, so einfach ist das nicht. Bei unserer Geschwindigkeit kriegst du kaum einen Tropfen Wasser mit der Schlagpütz an Deck. Das kannst du mir glauben."
"Wir haben ja immer noch die Hydranten."
"Du bist mir ja ein ganz Schlauer!" Spott macht sich auf dem Gesicht des Kochs breit, "Die Hydranten nützen dir nichts wenn die Feuerlöschpumpe nicht eingeschaltet ist. Ich sag` dir auch gleich, dass du das Seewasser nicht aus dem Keller bekommst. Da passen die Assis schon auf. Der einzige Seewasserhahn, der normal in Betrieb ist, der ist hier in der Kombüse und auf den passe ich selbst auf. Da bleibt euch nichts weiter übrig, als das Seewasser aus dem Scheißhaus zu schöpfen. Passt bloß auf, dass nicht noch was drin herum schwimmt. Ha, ha...."
Jetzt hat der Koch wieder seinen irren Blick. Er verschwindet lachend durch die Luke in seiner Kombüse. Herriett rümpft angewidert die Nase. Der Gedanke, Wasser aus der Kloschüssel zu schöpfen und sich anschließend damit zu begießen scheint ihr auch nicht zu gefallen.
beginnt für mich, wie auch für die anderen Täuflinge, mit großem Getöse noch vor sechs Uhr morgens. Die gesamte Kombüsenbesatzung, ihnen voran, mit irrem Blick, der Koch, stürmt in meine Kammer. Bevor ich richtig weiß was los ist, hält Schnippi die Bäckerin mir die Arme fest. Der Chefstewart bekommt gerade noch meine Beine zu fassen, bevor ich nach ihm treten kann. Der Koch hat ein Stempelkissen in der linken Hand und mit der rechten Hand hält er einen selbst gebastelten Stempel. Den drückt er mit einem lauten schmatzenden Geräusch auf meine Stirn. Salbungsvoll verkündet er: "Jetzt bist du in Neptuns Händen." Dann zischt er mich an: "Wehe du wäschst den Stempel weg. Das würde dir Leid tun!" Mein Gott, wann wird der wieder normal? "Los unterschreibe den Wisch!" Der Koch hat gerade ein mit Schreibmaschine beschriebenes Blatt aus seiner Kochsjacke gezogen. Dieses Blatt hält er mir nun unter die Nase.
"Was ist das? Mein eigenes Todesurteil?" Diese Frage ist berechtigt. Denn ich kann auf dem, vor mir herflatternden, Stück Papier kein Wort lesen.
"Das kann gut möglich sein. Hi, hi..."Jetzt kommt auch noch zum irren Blick ein irres Lachen. Der Koch knallt jetzt wahrscheinlich völlig durch.
"Das ist nur die Einwilligung zur Taufe." Schaltet sich Hansi, der Chefsteward, ruhig ein. "Die müssen alle Täuflinge unterschreiben. Der Alte will das so. Zur Sicherheit."
"Also doch mein Todesurteil!"
"Quatsch! So schlimm wird’s schon nicht werden. Der Alte passt schon auf, dass wir’s nicht zu toll treiben."
"Hansi! Was erzählst du für eine Scheiße?!" Mischt sich der Irre wieder ein, "Der ist dran! Ob der Alte nun dabei ist oder nicht."
"Hör nicht auf den. Los unterschreibe schon! Das wir mit dem Spuk hier endlich fertig werden. Ich habe schließlich noch etwas anderes zu tun."
"Wie soll ich unterschreiben? Ihr haltet mir ja immer noch die Arme fest."
"Lass ihn los!" Befiehlt Hansi der Bäckerin. Die Bäckerin lässt los. Ich unterschreibe und der Spuk verschwindet so schnell aus meiner Kammer wie er gekommen war. Wenn alle so durchknallen wie der Koch, dann kann ich mir schon vorstellen, dass es bei der Taufe schon böse Verletzungen gegeben hat. Sonst hatte der eher schmächtige Koch in der Mannschaft nicht viel zu sagen. Aber hier spielte er sich auf. Schon halb im Schlaf schüttle ich meinen Kopf und schlafe noch einmal fest ein. Als ich dann zur üblichen Zeit im Waschraum stehe und mein verschlafenes Gesicht im Spiegel betrachte, kann ich den verwischten Stempel kaum noch sehen. Das muss so eine Art Dreizack gewesen sein. Aber so richtig deutlich kann man das nicht mehr erkennen. Ein Großteil der Stempelfarbe wird wohl im Kopfkissenbezug breit geschmiert sein. Das stört mich allerdings weniger.Vielmehr stört mich, dass ich jetzt mit meiner blauen Stirn zum Frühstück erscheinen muss. Den Rest des Stempels ganz und gar abzuwischen, traue ich mich doch nicht. Schließlich will ich den Haufen Verrückte nicht noch mehr provozieren. Neben meinem Namen, auf der Liste in der Messe, ist schon ein großes schwarzes Kreuz gemalt. Weil ich eben doch das Seewasser aus dem Maschinenraum geholt und nicht aus dem Klo geschöpft hatte. Aber nur damit hatte ich mir das Kreuz nicht verdient. Beim Deckshund ausführen hatte ich es nicht dabei belassen nur zu bellen, sondern ich hatte auch gebissen und zwar den Koch, als der mit einer alten Wursthaut vor meine Nase herum gewedelt hatte. Über das folgende Geschrei musste ich gerade jetzt wieder lachen. Als ich in die Messe komme, herrscht ein großes Hallo. Der Bootsmann inspiziert die Stempel auf den Stirnen der Täuflinge. Der Koch, mit dem irren Blick, hängt mit seinem Oberkörper aus der Kombüse heraus und kräht: "Jetzt kommt euer Galgenfrühstück!"
Alle anderen geben mehr oder weniger deftige Kommentare über den Ablauf der bevorstehenden Taufe. Die Täuflinge an der Matrosenback beteiligen sich kaum an dem sprachlichen Getümmel. Sondern wenden sich krampfhaft ihrem Frühstück zu. Bloß nicht auffallen. So bemerkt mich niemand als ich mich setze.
"Hey! Hast du was an die Murmel gekriegt?" ruft Schulle belustigt. Er hat meine blaue Stirn als erster bemerkt, weil ich ihm gegenüber sitze. Schlagartig richtet sich die ganze Aufmerksamkeit auf mich. Musste Schulle so in der Messe rum grölen? Jetzt höre ich den Koch wieder aus der Kombüse krähen: "Kalle! Den musst du besonders kontrollieren! Der steht auf meiner Liste." Sofort stürzt der Bootsmann auf mich zu. Er sucht das Zeichen, den Dreizack Neptuns, auf der Stirn und sieht nur noch die blaue Farbe, die meine Stirn schwer blutunterlaufen aussehen lässt.
"Er hat’s abgewischt!"
"Was?" kräht der Koch ungläubig, "Er hat das Zeichen abgewischt? Jetzt ist er dran! Das ist unser Probeläufer." ruft er jetzt vollkommen irre.
"Blödsinn!" versuche ich zu beruhigen, "Den Stempel habe ich mir aus Versehen beim Schlafen am Kopfkissen abgewischt."
"Das kann jeder sagen." grinst der Bootsmann."Jawohl! Das kann jeder sagen." kräht es aus der Kombüse. Ich schaue meine Kameraden an der Back an. Die grinsen und nicken nur. Jetzt wird es mir zu dumm. Ich schmeiße mein Besteck auf den Teller und drehe mich aus meinem Stuhl hoch.
"Ihr könnt mich alle mal am Arsch lecken! Hier ist es ja wie unter Irren. Werdet ihr auch mal wieder normal?"
Einer ruft: "Ja nach der Taufe."
"Aber das wirst du nicht mehr erleben. Telegramm neunundneunzig "Letzter Gruß von See"." kräht es wieder aus der Kombüse. Bloß raus hier aus diesem Beknacktenclub. Ich versetze meinem Stuhl einen Hieb. Dann stürme ich zur Tür heraus und knalle sie zu. Höhnendes Gelächter hinter mir.
"Arschlöcher!!" Drinnen dreht sich mein Stuhl rasend schnell um seine eigene Achse.
Ein altes Farbfass mit angeschweißten Schlaufen aus Rundstahl. Darin sammelte der Koch die erlesensten Abfallstücke. Die Assis hatten auch schon eine Ladung Separatordreck dazu gegeben. Ein höllisch stinkendes Gebräu. Es hieß, dass die Täuflinge allesamt damit Bekanntschaft schließen würden. Der Koch konnte gar nicht genug davon kriegen, den Täuflingen zu erzählen, wie sie darin untergetaucht werden würden und das sie in der Foolbrass sitzend ihren Taufhaarschnitt verpasst bekämen. Ein echter Smutje, dachte ich mir, und ein Sadist obendrein. Ich konnte es kaum glauben, dass man uns in dieses stinkende Fass stecken würde.
"Na schmeckt es euch?" Der Storekeeper steckt sein dummes Gesicht durch die Luke. Er wedelt mit einem Stück Entenkeule. "Was gibt es denn bei euch Schönes? Also bei uns gibt es einen hervorragenden Entenbraten."
Die Auseinandersetzung von Koch, Storekeeper und Täuflingen hätte durchaus noch länger weitergehen können. Doch jetzt erscheinen mit martialischen Gebrüll, gekleidet in Phantasiekostümen aus der Putzlappenkiste, jeder ein aufgespleisstes Tau in der Hand, die Treiber.
Sie jagen alle Täuflinge aus der Messe hinaus an Deck, zwingen sie dort auf die Knie und lassen sie auf allen Vieren nach achtern kriechen. Draußen an Deck warten noch andere Treiber mit Feuerlöschschläuche. Sie halten die vollen Wasserstrahlen auf die Täuflinge und bringen damit die kleine Gruppe auf ein höheres Tempo. Dies geschieht unter großem Gejohle und einem großen Geschrei.
Ziel der großen Treibaktion ist das im achteren Deckshaus befindliche so genannte Kanackerscheißhaus. Dies ist ein ganz gewöhnliches Klo. Nur das es sich außerhalb jeglicher Schiffsaufbauten befindet. Es ist weder gefliest, noch hat es ein Fenster. Die Wände sind unverkleidete Stahlwände. Nur sind sie weiß lackiert. Eigentlich ist es dafür da, in den Häfen den Hafenarbeitern eine ordentliche Toilette bieten zu können, ohne das diese das Innere der Aufbauten unsicher machen konnten. Es wurden ohnehin gelegentlich Spuren ihrer Anwesenheit in den Luken gefunden. Heute aber wurde jenes Klo gründlich zweckentfremdet.
Es musste als Kerker für die neun Täuflinge, einer davon war ja weiblich, herhalten. Alle Neun werden in den kleinen Raum getrieben. Damit die Täufer, so wie der Matrose Plattfuß, der mit seiner Schuhgröße sieben oder achtundvierzig, seinen Spitznamen zu Recht trägt, sich beim Mittagessen noch einmal in Ruhe stärken können. Das Schott geht zu und wird verriegelt. Drinnen herrscht drangvolle Enge. Den besten Platz auf der Toilettenschüssel geben die männlichen Täuflinge Herriett.
Plattfuß, dessen Verstand im umgekehrten Verhältnis zu seiner Schuhgröße steht, macht es sich zum Vergnügen, nachdem er die Toilette durch eine oben liegende Öffnung, mit dem Feuerwehrschlauch, bis zur Hälfte geflutet hatte, mittels eines Vorschlaghammers, die Stahlwände zu bearbeiten. So das drinnen die Farbe abplatzt und die Täuflinge kurz vor der Taubheit stehen. Dies treibt er so lange bis der Chief, durch das Geschrei der Täuflinge herbeigelockt, es Plattfuß kategorisch verbietet. Er hatte dabei wieder seinen hochroten Kopf bekommen. Also ist es ihm ernst und Plattfuß legt den Vorschlaghammer beiseite. Das Klo lässt er jedoch geflutet.
So das sich auf die Treiber, als sie, nachdem sie alles für die Taufe vorbereitet hatten, Neptun und seine Braut nebst gesamten Gefolge angeputzt war und sie nun alle Täuflinge zur Schiffsübergabe durch den Kapitän an Gott Neptun, treiben wollten, eine Flutwelle ergießt. Die jetzt schon genervten Täuflinge werden aus ihrem Gefängnis gelassen und sofort wieder auf die Knie gezwungen. Wo das nicht richtig klappt wird mit dem Tauende nachgeholfen. Ein Deck- und ein Maschinenstift bekommen einen Jochbalken um den Hals gehängt, an dem die große Schiffsglocke angebracht ist.
Während sich der Zug, Täuflinge kriechend, Treiber treibend, wieder nach mittschiffs bewegt, müssen sie die Schiffsglocke läuten. Spontan fällt mir "The carpet crawl" von Genesis ein. Irgendwo hatte ich mal gelesen, dass dieser Titel von einer unheimlichen Gruppe Menschen handelt, die einen schier endlosen Gang entlang kriechen.
An einem auf das grüne Deck frisch gemalten weißen Strich hält dieser Zug. Dies sollte nun der symbolische Äquator sein.Sie stehen sich gegenüber. Das "heilige" Gefolge Neptuns, Neptun selbst, den stellte der Storekeeper dar, was für eine Fehlbesetzung, Neptuns Braut, dargestellt von der drallen Bäckerin, der Priester, dargestellt vom schnellen Horst, seines Zeichens Eisbär, wie die Kältemaschinisten an Bord bezeichnet werden. Gerade er ist die Starbesetzung. Er trägt seine hagere Gestalt, die an einen alternden spanischen Granden oder besser noch an Don Quichote, erinnerte, zur Schau.
Da ist noch das übrige Gefolge Neptuns. Die "ehrenwerten" Doctores, die Henker, die Bademeister, der Friseur und sein Gehilfe. Zuletzt ist da noch der Alte in seiner weißen Tropenuniform. Symbolisch übergibt er das Schiff an Gott Neptun. Auf der anderen Seite knien die Täuflinge. Jetzt beginnt die eigentliche Taufe. Der Alte, Neptun und sein Gefolge prosten sich mit Sekt zu, während die Täuflinge an Deck knien und jeden Wasserstrahl aus den Schläuchen begrüßen. Weil das Deck unter der Tropensonne immer heißer wird.
Nach der Schiffsübergabe werden die neun Täuflinge wieder in ihr Klo zurückgetrieben. Von hier werden sie dann einzeln zu ihrer ganz persönlichen Zeremonie geholt. Für mich, der ich ja durch meine Reibereien mit dem Koch, die meisten Minuspunkte gesammelt hatte, hielt man etwas Besonderes bereit. Ich durfte der so genannte Probeläufer sein. Ein höchst zweifelhaftes Vergnügen.
Es bedeutete nichts anderes als das ich der Erste aber auch der Letzte sein würde der den Parcour durchlaufen muss. Nach kurzer Zeit im engen Raum werde ich geholt und nach vorn getrieben.Neptun, seine Braut, der Priester und der Alte sitzen auf Luk drei und bilden das "heilige" Präsidium. Hier muss ich mich niederknien und Neptuns Füße küssen, die dick mit Senf bestrichen sind. Vom Priester wird mir der Eid abgenommen.
Dieser schließt mit den Worten: ".....und nun taufe ich dich auf den Namen "Buckel......"." Ein lautes Gejohle erhebt sich. So das ich nur noch "barsch" am Ende verstehen kann. Das war Absicht. Denn jeder Täufling wurde auf den einzelnen Stationen immer wieder nach seinen Taufnamen gefragt.
Wusste er ihn nicht so wurde er nochmals ins Taufbecken getaucht oder ihm wurde bei den "Doctores" noch eine bittere Pille von der Größe eines Tischtennniesballs, eingeflößt. Sein Taufname wurde nur noch einmal genannt, wenn er versprach eine ordentliche Menge Getränke für die Täufer zu stiften.
Aber Etzes Griff sitzt fest. Vor meinen Augen erscheint das grinsende Gesicht des Bootsmanns."Na mein Freund. Auf welchen Namen soll ich dich denn taufen?"
"Buckelbarsch?" Lacht der Bootsmann, "Was ist denn das für ein komischer Fisch? Ich glaube wir müssen dich erst noch einmal tauchen bis es dir wieder einfällt."
Ich spüre das Gewicht auf meinen Rücken, dass mich am auftauchen hindert. Etze oder Kalle? Einer von Beiden sitzt auf meinem Rücken. Ich versuche meine Luft so gut wie möglich einzuteilen. Doch irgendwann ist Schluss. Wollen die einen hier ersäufen? Langsam kommt Panik in mir auf. Ich versuche mich loszureißen um nach oben zu kommen. Ich schaffe es nicht und lasse große Luftblasen aus meinen Mund fahren. Plötzlich ist der Druck auf meinem Rücken weg. Im gleichen Augenblick werde ich an den Haaren an die Wasseroberfläche gezerrt. Wieder hat Etze meine Arme fest im Griff. Wieder erscheint das Grinsen des Bootsmanns vor meinem Gesicht.
Kalle schüttelt bedauernd und doch belustigt seinen Kopf.
Wirklich! Ich werde sofort wieder nach oben gelassen. Diesmal bin ich nicht so außer Atem. Aber ich hatte beschlossen einzulenken.
"Was ist dir dein Name wert?" Höre ich den Bootsmann fragen."Also gut! Eine Kiste Bier!"
Panik steigt in mir auf, viel heftiger als bei meinem ersten Tauchgang. Ich strampele, ich versuche mich gegen das Gewicht zu stemmen aber es gelingt mir nicht. Jetzt ist die Panik überall in mir. Doch jetzt löst sie Kräfte aus, die ich noch nie bewusst gespürt habe. Überlebenskräfte, die vielleicht doppelt oder dreifach so hoch sein mochten als die Kräfte, die ich bewusst einsetzen konnte.
Mit einem Urschrei, der schon unter Wasser beginnt, stemme ich mich gegen die Kraft, die mich nach unten drückt. Jetzt schaffe ich es. Ich schieße aus dem Wasser heraus.Etze, der auf meinem Rücken gesessen hatte, wird wie ein nasser Sack aus dem Becken geschleudert. Kalle taumelt gegen den Beckenrand und stürzt rücklings aus dem Becken an Deck. Schrecksekunden bei Allen. Danach Belustigung bei Einigen und Reaktion bei anderen, die in das Becken springen und zu viert meine entfesselte Überlebenskraft zu bändigen versuchen. Nach diesem Auftritt hatten die beiden Bademeister keine rechte Lust mehr mich zu tauchen. Obwohl ich nur eine Kiste Bier und eine Flasche Schnaps spendiert hatte. Aber wenn schon. Sollten sich die anderen mit mir befassen. Ich werde an die nächste Station weitergereicht. Eigentlich kann man nicht von weiterreichen sprechen. Ich werde vielmehr getrieben. Kaum hat man mich gebändigt schon zerrt man mich aus dem Becken, zwingt mich mit Hilfe von Tauenden auf die Knie und treibt mich um die Luke herum zum Behandlungsstuhl der beiden "Doctores".
Der Behandlungsstuhl ist eine aus groben Brettern gezimmerte Sitzgelegenheit. Eine Bürste ist längs über die Sitzfläche genagelt. Auch sind Möglichkeiten zum fesseln des "Patienten" vorhanden.Die "Doctores" arbeiten mit selbst gedrehten Pillen. Aus was die bestehen wissen natürlich nur sie und der wahnsinnige Koch. Es ist ja auch egal. Sie schmecken jedenfalls furchtbar. Auch ekelhaft ist die salzige Heringsbrühe mit der nachgespült wird.
Die gesamte Mixtur kann man getrost als Brechmittel bezeichnen. Das Wasserglas voll mit warmen Wodka, der jetzt mir eingeflößt wird, in dem man mir die Nase zuhält und nur darauf wartete bis ich durch den Mund nach Luft schnappte, rundet den Brechcocktail ab.
Ich kann mich nicht wehren. Ich bin mit Stricken an Händen und Füßen gefesselt und kann nur mit meinem Kopf schütteln um den Brechreiz niederzukämpfen. Es gelingt mir und so spüre ich bald nur noch die Wirkung des Wodkas in meinem Kopf und in meinen Beinen. Bevor ich an den "Henker" weitergereicht werde, spülen die Treiber mich mit dem C - Strahlrohr gründlich ab. Ich spüre das Rumoren in meinem Bauch. Bloß nicht speien. Speien konnte ich noch nie leiden.
Blitzschnell gibt Plattfuß das Rotglühende Brenneisen an einen der Treiber weiter. Ich kann nicht sehen was jetzt hinter mir geschieht. Zeitgleich drückt der Treiber das Brenneisen in eine dicke Speckschwarte, während Dietel die Turnhose herunterreißt und ein großes Stück Eis auf den entblößten Arsch legt. Qualm steigt von der Speckschwarte auf. Es riecht nach verbranntem Fleisch.
Die Kälte des Eises spüre ich wie eine Verbrennung. Das ist ein Effekt, der eigentlich noch nie seine Wirkung verfehlt hat. Aber meine Gedanken gehen zu langsam um mich zu schocken. Die meisten, die diese Behandlung schon einmal hinter sich hatten, glaubten wirklich einen Moment tatsächlich jetzt ein Dreizack als Brandmal auf dem Hintern zu haben. Das Geschrei war dann immer groß. Bei meiner Reaktion waren alle enttäuscht. Dennoch gebe ich immer wieder Bier und Schnaps aus, um es endlich hinter mir zu haben.
Man schnallt mich von der Folterbank und ich glaube mich schon erlöst. Doch ich irre mich. Ich hatte den Friseur vergessen. Das wird mir erst bewusst als ich von den Treibern angehoben werde und tatsächlich in der stinkenden Foolbrass verschwinde.
Dazu kommt das eklige Gefühl völlig von der stinkenden breiigen Masse umgeben zu sein. Ich kann den Inhalt des Fasses nicht sehen. Aber das ist ein schwacher Trost. Denn die gärenden Küchenabfälle stinken erbärmlich. Übelkeit steigt in mir hoch. Übelkeit die ich nicht mehr unterdrücken kann. Da kotze ich den Inhalt meines Magens zum Inhalt des Fasses dazu. Ein Teil des Erbrochenen bleibt auf dem Jochbalken liegen.
Aber schon sind die Friseure zur Stelle. Sie haben die gefährliche Situation erkannt und befürchtet ich könne ersticken. So befreien sie mich wenigstens vom Jochbalken. Ich kann mich jetzt ein wenig aufrichten. So das meine Knie nicht mehr am Fass scheuern können. Der Jochbalken war auch gar nicht mehr nötig denn ich wehrte mich nicht mehr. Völlig apathisch lasse ich alles über mich ergehen und warte bis es vorbei sein würde. Um das ganze zu beschleunigen gebe ich eine Kiste Bier nach der anderen und eine Flasche Schnaps nach der anderen aus. Der Haarschnitt den man mir verpasst ist nur noch eine reine Formsache. Das gilt im wahrsten Sinne des Wortes.
Man zeigt mir zwar eine Tafel auf der alle zur Auswahl stehenden Tauffrisuren aufgezeichnet sind. Da gibt es Frisuren mit so klingenden Namen, wie Mexikanische Bürste, mongolische Skalplocke, Kreuz des Südens und zuletzt Halb und Halb. Es ist für den Täufling jedoch sinnlos eine Auswahl zu treffen. Letztlich verpasst man ihm einfach einen Haarschnitt, der den Friseuren gerade am besten gefällt. So ist es auch bei mir. Die Friseure waren sich einig. Für mich kam nur Halb und Halb in Frage.
Sie rasieren mir also die rechte Hälfte des Haupthaares ab und dann die linke Hälfte des vorher so üppigen Vollbarts. Die Schönheit dieses Haarschnitts, der jeden abgefahrenen Punker vor Neid erblassen ließe, konnte man aber erst am Abend sehen, als meine Haare wieder trocken waren.
Jetzt wurde ich aber erst einmal aus der Tonne gehoben und zurück ins Kanackerscheißhaus gebracht. Diesmal verzichten die Treiber jedoch darauf mich auf die Knie zu zwingen. Der Alte hatte die blutenden aufgeschundenen Knie gesehen und es ihnen mit einem Handzeichen verboten.So finde ich mich völlig erschöpft, stinkend, schwarz und blau gefärbt vom Separatordreck und von der Tuschierpaste, im Kanackerscheißhaus im Kreise der anderen Täuflinge wieder.
Nacheinander werden die anderen geholt. Sie kommen aber nicht wieder zurück. Sie werden von der Taufe direkt unter die Dusche geschickt. Schon bald stehe ich ganz allein im Scheißhaus. Dann werde ich abgeholt. Ich glaubte die ganze Tortour noch einmal machen zu müssen. Aber ich wusste nicht, dass der Alte den zweiten Durchlauf nicht erlaubt hatte. So bin ich heilfroh als die Täufer mich nach einem Kniefall vor Neptun zum duschen schicken. Ich musste also nur bis zuletzt im Scheißhaus ausharren. Dies war die Rache des Kochs.
Montag, 28. Januar 2008
Das erste Mal Wismar
Für immer abgemustert
Bis zum Oktober 1982. Da stürzten nicht nur meine beruflichen Pläne wie ein Kartenhaus zusammen, sondern es wurde auch meine gesamte Existenz bis in die Grundmauern erschüttert.
Was war geschehen?Meine Mutter war nach einer Besuchsreise in Frankfurt a.M. nicht zurückgekehrt.
Ich befand mich zu dieser Zeit auf MS HEINRICH HEINE.
Seit Juni 1982 gehörte ich dort zur Besatzung. Wir waren gerade auf einer Reise nach Klaipeda (Litauen), also ziemlich weit östlich oder rechtsherum, wie wir Seeleute immer dazu sagten. Mit einer Ladung Schweinehälften lagen wir im Hafen von Klaipeda. Da wurde ich am Vormittag des 13. Oktober 1982 zu Kapitän Wolfgram gerufen. Er hatte ein Telex der Reederei erhalten, in dem die Weisung stand, mich umgehend an Bord des MS VOCKERODE zurück nach Rostock zu schicken. Der plötzliche Rückruf überraschte und beunruhigte mich gleichermaßen. Das konnte nichts Gutes bedeuten, zumal Kapitän Wolfgram ebenfalls keine Erklärung hatte. Er versuchte mich mit einer eventuell bevorstehenden Einberufung zur Armee zu beruhigen. Aber damit lag er weit daneben, wie sich schon bald an Bord des MS VOCKERODE herausstellen sollte. Auf Reede Warnemünde saß ich mit anderen Besatzungsmitgliedern in der Messe, als der Bordfunker kam und mir sagte, ich hätte mich am nächsten Tag im Flottenbereich, Zimmer 18, einzufinden. Alle sahen sie mich jetzt mitleidig an. Jeder wusste, was das bedeutete.
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