Dienstag, 29. März 2011

"DDR ahoi"






Am Freitag den 01. April 2011 (Kein Aprilscherz) soll der MDR Zweiteiler
"DDRahoi - Helden der See"
den Grimme Preis erhalten. Doch bei aller schönen heilen DDR - DSR Welt, einem "Feigenblättchen", nach dem Motto:"Da gab es doch wohl auch dunkle Seiten.", wird doch an derlei "Eijapopeia-heile-DSR-DDR-Welt" Berichterstattung, Kritik laut.
Natürlich wird eine solche Kritik, wie immer; ignoriert. Stört sie doch das schöne aber doch all zu "süße" Bild.
Obwohl dem MDR auf dessen Homepage eingesandt, wird er noch nicht einmal in dessem Blog, der angeblich eigens für Meinungsäußerungen zum Thema eingerichtet wurde, veröffentlicht. Das lässt tief blicken.
Hier die kritische Meinungsäußerung:

Melde mich heute…..
bei Ihnen zum zweiten Mal. Zum einen, weil ich auf meinen ersten Kontakt mit Ihnen nicht die geringste Reaktion bekommen habe, zum anderen weil ich inzwischen nun den zweiten Teil Ihrer Dokumentation „DDR ahoi“ gesehen habe. Wieder wurde ich enttäuscht.
Es ist zwar schön die alten Bilder und die alten Geschichten zu hören. Auch das man von einem „geläuterten“ DDR- und DSR Leitungs- Fernsehkapitän Gerd Peters mal alles in einem anderen Tonfall hört, ist eine Bemerkung wert.
Aber es ist mir immer noch zu wenig was Sie in Ihrer Doku Serie über die „Opfer“ der DSR und ihrer paranoiden Befehlsgeber, zu sagen haben.
Auch wenn Sie das Schicksal eines John Paetke als Beispiel hier anführen, sollten Sie eins bedenken. Er hatte es schon zum Kapitän gebracht. Sein Abschied von der Seefahrt war mit Sicherheit kein solcher Absturz, wie bei einem, der noch nicht eine einzige Stufe auf der „Seemannskarriereleiter“ erklimmen konnte.
Leider kann ich hier auch wieder nur auf mein eigenes Schicksal verweisen. Denn dieses ist mir bis ins kleinste Detail bekannt.
Viele andere Schicksale dieser Art gab es, gerade in den Achtziger Jahren in der DDR. Ausgerechnet Sie könnten hier recherchieren, Sie hätten die Möglichkeit und die Mittel hier wertvolle Aufklärungsarbeit zu leisten. Aber Sie tun es nicht. Warum?
Gerade diese Art von Vergangenheitsbewältigung Deutsch-Deutscher Geschichte wünsche ich mir schon seit vielen Jahren. Stattdessen bekommt man immer wieder eine DDR wie aus der „Disney World“ für Ostalgiker vorgegaukelt.
Am Ende Ihrer Doku zeigen Sie noch mal alle, in dem Beitrag zu Wort gekommenen Seeleute, innerhalb ihrer Erinnerungen.
Ein eher trauriger Abschluss, aber sicherlich so gewollt . Suggeriert er doch bei den Meisten: Hier sind die „Opfer“ des Endes der DDR Seefahrt, ja sogar die Opfer der Einigung selbst.
Doch diese Seeleute selbst hatten eine erfüllte Seefahrtzeit.
Es kamen Kapitäne und andere Offiziere zu Wort. Sie hatten ihre berufliche Karriere bereits gemacht. Einige von ihnen hatten noch vor dem Ende der DDR Seefahrt freiwillig den Seemannsberuf aufgegeben. Andere hatten am Ende der DDR-Seefahrt die Chance mit Mitte 50 in den, selbstverständlich verdienten, Vorruhestand zu gehen. Ja selbst Marcus Seibt, der am Ende der DDR Seefahrt gerade seine Lehre abgeschlossen hatte, bekam seine Chance seinen erlernten Beruf weiter auszuüben.
Anders war es bei mir. Im Jahr 2004 schrieb ich die Geschichte „Für immer abgemustert“ . Fast am Ende dieser Geschichte heißt es: Nach 17 Jahren ohne Seefahrt heuerte ich 1999 auf der „Deutschland“ an. Als Plumper, - ich hatte ja vorher nie ein richtiges Patent machen können.
Einige Jahre später musste ich dann sogar feststellen, dass ich heute gar nicht mehr in meinem erlernten Beruf arbeiten darf.
Denn viele Jahre hatte man in Deutschland keine Seeleute mehr ausgebildet. Die Reedereien bedienten sich aus dem Arbeitskräfte Pool (human resources) dem Seeleute wie Marcus Seibt angehörten. Als man feststellte, dass dieser Pool erschöpft war, hob man ein neues Berufsbild, den Schiffsmechaniker, aus der Taufe.
Gelernte Seeleute, die aus den bekannten Gründen lange Zeit nicht mehr zur See fuhren, guckten in die Röhre. Denn ihr Facharbeiter wurde nicht mehr anerkannt.
Sie galten jetzt in ihrem gelernten Beruf als ungelernt.
Keinem Fleischer, Bäcker, Schlosser oder Elektriker würde so etwas passieren.
Doch ich musste dies schmerzlich zur Kenntnis nehmen.
Denn Sie werden es vielleicht nicht glauben, mit fast 50 Jahren reaktivierte ich mich noch einmal für die Seefahrt.
Ich stieg am 01.12.2008 bei AIDAcruises ein und auf AIDAcara, wieder nur als Plumper, auf. In den zwei Jahren, die ich dort wieder aktiv zur See fuhr, musste ich mehr und mehr feststellen, dass ich mich mal wieder in einer beruflichen Sackgasse befand.
Es gab für mich bei AIDAcruises keinerlei Chancen einerseits wieder in meinem erlernten Beruf (obwohl man dort nach wie vor deutsche Maschinenassistenten fährt) zu arbeiten, noch das ich mich in irgendeine andere Richtung hätte weiterqualifizieren können.
Ein zweites Berufsverbot lässt grüßen.
Jetzt würde mich ja interessierten, was die Akteure Ihres Streifens zu einer solchen Geschichte sagen würden.
Entweder der Anschi… lauert überall oder würden sie sagen: „Dumm gelaufen!“
Ich jedenfalls bin mit 52 wieder arbeitslos. Einen Vorruhestand wird mir keiner ermöglichen. Eine neue echte berufliche Chance wird mir keiner geben. Das Rentenalter für mich mit 66 und vier Monaten ist noch in weiter Ferne. Um eine Seemannsrente wurde ich auch betrogen, obwohl ich die Dienstzeiten mit BerRehaG zusammen hätte.
Eine Antwort werden auch Sie mir schuldig bleiben. Ich erwarte jedenfalls nichts anderes. Denn in diesem Land wird Kritik auch wenn sie berechtig ist mit eisigem Schweigen beantwortet.
Jedenfalls nach meiner Meinung haben Sie für Ihren Zweiteiler „DDR ahoi“ keinen Grimme Preis am Freitag verdient.

Mittwoch, 14. April 2010

Telegramm 99 "Letzter Gruß von See"

oder

an Bord des MS "John Brinckman"
von Hardy Riedel

Im Assigang, in der Nähe des Niederganges, ist ein lautes Läuten zu hören. Jedes Mal wenn das Läuten aufhört kann man ein Rufen, nach Art eines Marktschreiers, vernehmen. Immer näher kommt das Läuten. Wieder hört das Läuten auf und im Tonfall eines Predigers, der lustlos das Vaterunser herunterleiert, ist zu hören: "Heute Abend gibt es Bauernfrühstück. Außerdem gibt es Wurstplatte, Brot und Käse. Zum Durstlöschen wird kalter Tee gereicht. Wer Durst auf ein Bier hat muss das sich selbst mitbringen."
"Was soll das?" frage ich mich. Ich stürze zur Kammertür reiße sie auf und schaue den Gang entlang. Einer der beiden Deckslehrlinge kommt den Gang entlang. Er schwingt wieder die Glocke. Dann hört er auf zu läuten und wieder leiert er seine Litanei herunter: "Das Neueste vom Wetter. Die See ist ruhig, strahlender Sonnenschein, kaum Wolken am Himmel, mäßiger Wind. Ich wünsche den Herren von der Maschine einen guten Appetit."
Nach diesem Satz macht der Stift vor meiner Kammertür kehrt und geht den Assigang wieder zurück. Alle Anwohner des Assigangs haben ihre Nasen aus den Kammern heraus gesteckt um das Schauspiel zu verfolgen. Ein großes Gejohle setzt ein."Gut gemacht!"
"Wenn die Stifte nur immer so wohlerzogen wären.""Ja das gibt mindestens einen Pluspunkt auf der Liste."
Außer mir scheinen alle zu wissen um was es hier geht. Ich begreife nicht, stehe vor meiner Kammertür und mein Gesichtsausdruck mit offen stehendem Mund, lässt mich nicht besonders intelligent aussehen.
Ich schüttle meinen Kopf und mir ist wirklich nicht klar was das Schauspiel darstellen soll. Betont langsam schlendere ich zu den anderen, die immer noch amüsiert miteinander sprechen. Matze steht am nächsten. Ich setze mein breitestes Grinsen auf. Das verleiht mir einen leicht dümmlichen Gesichtsausdruck."Was war das denn für eine Aktion? Hat der Bootsmann wieder den Stift verarscht?"Für mich war dies die einzige Erklärung für den Auftritt. Es kam schließlich oft vor das die Stifte verarscht und zum Kielschwein füttern oder zum Bilgenfett holen geschickt wurden.
"Damit bist du auch mal dran!"
"Also das glaube ich ganz bestimmt nicht, dass ich mich hier zum Löffel mache und jeden sein Wiener Schnitzel ansage."
"Doch, doch! Ich glaube schon, dass du das machst. Es gehört zum Varietéprogramm, welches die Täuflinge gestalten müssen. Dazu gehört auch das Essen ausrufen vor den Mahlzeiten. Es gibt Pluspunkte. Aber es gibt auch Minuspunkte wenn du die Sache schlecht machst. Oben in der Messe hängt eine Liste. Hast du die noch nicht gesehen?"
Ungläubiges Kopfschütteln von meiner Seite.
"Die solltest du dir aber mal genauer ansehen." fährt Matze fort. Mir gefällt der väterliche Ton nicht den Matze jetzt anschlägt. Aber ich schlucke meinen Protest

esse ich betont langsam. Die Liste hatte ich schon beim Eintreten in die Messe bemerkt. Sie hängt gleich links neben der Luke, die zur Kombüse führt. Außerdem machte der Koch jeden potentiellen Täufling darauf aufmerksam. Sobald er einen Täufling von der Kombüse aus, in der Messe entdeckt, zwängt er seinen schmächtigen Oberkörper durch die Luke, zeigt wild gestikulierend auf die Liste.

"Hey du! Schau dir die Liste genau an. Da kannst du für die Äquatortaufe einige Pluspunkte sammeln. Aber wenn du schlecht bist dann gibt es Kreuze, schwarze Kreuze! Weißt du was es heißt wenn du drei schwarze Kreuze hast? Ich sage nur Telegramm neunundneunzig "Letzter Gruß von See". Dann bist du dran."

Bloß keine Blöße geben. Bei dieser Reise ist niemand mehr normal. Die Äquatortaufe liegt überall in der Luft. Die Crew hat sich in zwei Lager aufgeteilt. In Täufer und in Täuflinge. Leute mit denen man sonst gut auskam laberten nur noch davon, wie sie die Täuflinge rankriegen würden. Dabei rollten sie wild mit den Augen und spielten sich auf wie wilde Seeräuber. Irgendwie fand ich das schizophren. Ich wünschte nur die Taufe wäre endlich vorüber und hoffte, dass meine Kameraden wieder normal werden würden. Deshalb gab ich mich auch betont gelassen. Deshalb strafte ich die Liste mit Nichtachtung obwohl es mich schon interessierte. Ich esse extra langsam und warte bis sich die meisten getrollt haben. Nach einiger Zeit stelle ich fest, dass die, die sich noch in der Messe befinden, ausnahmslos selbst Täuflinge sind. Ich stehe auf und gehe an das schwarze Brett, an dem sich die Liste befindet. Neun Täuflinge zähle ich. Die vier Lehrlinge. Das war klar. Die konnten kaum schon eine solche Taufe haben. Dann stehen noch die drei neuen Decksleute auf der Liste. Mich selbst finde ich an vorletzter Stelle auf der Liste. Wer ist der Neunte?Ach du liebe Zeit! Es war nicht der Neunte sondern die Neunte, Herriett.

"Kannst du mir sagen was das alles zu bedeuten hat und was wir da machen sollen?" fragt leise eine Stimme hinter mir. Herriett war beim Abräumen auf dem Weg zur Pandry hinter mir stehen geblieben und studierte zum wer weiß wievielten Male, die Liste.

"So wie ich das sehe, müssen wir beide morgen Abend die Deckshunde ausführen." erkläre ich, ohne einen Blick vom Blatt zu wenden. "Was immer das bedeuten mag." Dabei zucke ich hilflos mit den Schultern.
"Ah! Habe ich euch erwischt!" Kräht es aus der Kombüse. Der Koch zwängt wieder seine Gestalt durch die Luke. "Eine Täuflingsverschwörung! Aber wartet, das bekommt euch nicht!" "Bullettenschmied! Halt die Luft an! Du langweilst."

"Wie hast du mich genannt? Bullettenschmied! Du wagst es als Täufling so mit mir zu reden!" Die Stimme überschlägt sich. "Das gibt Minuspunkte. Fünf Minuspunkte ergeben ein schwarzes Kreuz und drei schwarze Kreuze bedeuten Telegramm neunundneunzig "Letzter Gruß von See" "Ja! Ja! Wir wissen schon." rufen Herriett und ich gelangweilt."Sagt nicht "ja, ja" zu mir!" dröhnt es aus der Luke, "Ja, ja, heißt, Leck mich am Arsch."
"So war das auch gemeint." Gebe ich trocken zu und frage Herriett: "Macht der jetzt Spaß oder knallt der schon durch? Die Reise hat doch erst angefangen."

"Ich glaube dem sind die Eier hoch geschnappt." lacht Herriett, "Aber da kann ich ihm auch nicht helfen."
Dem Koch fällt das Maul zu. Alle in der Messe lachen lauthals. Das hatte gesessen. Ich habe jetzt die Hoffnung, dass der Koch wenigstens für einen Augenblick wieder normal werden würde. Deshalb frage ich ihn ganz sachlich: "Bevor du wieder überschnappst, sag uns lieber was das alles zu bedeuten hat."

Der Koch war jetzt tatsächlich bereit alles zu erklären. Er kann sogar wieder in einem normalen Tonfall reden" Also wir haben da verschiedene Programmpunkte. Mahlzeiten ausrufen, das hat der Stift ja schon gemacht. Das muss jetzt bis zur Taufe in fünf Tagen, jeden Tag ein anderer machen."

"Da hab` ich ja Glück. Ich bin der Achte." stelle ich fest.

"Du hast dafür zwei andere Programmpunkte." Erläutert der Koch weiter. Er sucht meinen Namen auf der Liste und ließt vor: "Hardy Riedel, morgen Deckshund ausführen und übermorgen Seewasserduschen."
"Lesen kann ich selber! Ich will wissen was das bedeutet!"

"Die Deckshunde sind große Pfänder. Der Kabelgeist hat an die Pfänder noch einen kurzen Tampen als Schwanz angespleißt und vorn hat er zwei Augen aufgemalt. Ihr müsst mit denen dreimal an Deck um die ganzen Aufbauten und Deckshäuser herum und immer schön dabei bellen. Das wird bewertet."

Der Koch bekommt langsam wieder seinen irren Blick. Schnell frage ich ihn noch, was es mit dem Seewasserduschen auf sich hat. Der Koch grinst aus seiner Luke heraus. "Da müsst ihr euch gegenseitig mit drei Pützen Seewasser begießen."
"Na, wenn’s weiter nichts ist. Seewasser haben wir ja hier genug." lache ich.

"Nee, nee, so einfach ist das nicht. Bei unserer Geschwindigkeit kriegst du kaum einen Tropfen Wasser mit der Schlagpütz an Deck. Das kannst du mir glauben."

"Wir haben ja immer noch die Hydranten."

"Du bist mir ja ein ganz Schlauer!" Spott macht sich auf dem Gesicht des Kochs breit, "Die Hydranten nützen dir nichts wenn die Feuerlöschpumpe nicht eingeschaltet ist. Ich sag` dir auch gleich, dass du das Seewasser nicht aus dem Keller bekommst. Da passen die Assis schon auf. Der einzige Seewasserhahn, der normal in Betrieb ist, der ist hier in der Kombüse und auf den passe ich selbst auf. Da bleibt euch nichts weiter übrig, als das Seewasser aus dem Scheißhaus zu schöpfen. Passt bloß auf, dass nicht noch was drin herum schwimmt. Ha, ha...."

Jetzt hat der Koch wieder seinen irren Blick. Er verschwindet lachend durch die Luke in seiner Kombüse. Herriett rümpft angewidert die Nase. Der Gedanke, Wasser aus der Kloschüssel zu schöpfen und sich anschließend damit zu begießen scheint ihr auch nicht zu gefallen.

beginnt für mich, wie auch für die anderen Täuflinge, mit großem Getöse noch vor sechs Uhr morgens. Die gesamte Kombüsenbesatzung, ihnen voran, mit irrem Blick, der Koch, stürmt in meine Kammer. Bevor ich richtig weiß was los ist, hält Schnippi die Bäckerin mir die Arme fest. Der Chefstewart bekommt gerade noch meine Beine zu fassen, bevor ich nach ihm treten kann. Der Koch hat ein Stempelkissen in der linken Hand und mit der rechten Hand hält er einen selbst gebastelten Stempel. Den drückt er mit einem lauten schmatzenden Geräusch auf meine Stirn. Salbungsvoll verkündet er: "Jetzt bist du in Neptuns Händen." Dann zischt er mich an: "Wehe du wäschst den Stempel weg. Das würde dir Leid tun!" Mein Gott, wann wird der wieder normal? "Los unterschreibe den Wisch!" Der Koch hat gerade ein mit Schreibmaschine beschriebenes Blatt aus seiner Kochsjacke gezogen. Dieses Blatt hält er mir nun unter die Nase.

"Was ist das? Mein eigenes Todesurteil?" Diese Frage ist berechtigt. Denn ich kann auf dem, vor mir herflatternden, Stück Papier kein Wort lesen.

"Das kann gut möglich sein. Hi, hi..."Jetzt kommt auch noch zum irren Blick ein irres Lachen. Der Koch knallt jetzt wahrscheinlich völlig durch.

"Das ist nur die Einwilligung zur Taufe." Schaltet sich Hansi, der Chefsteward, ruhig ein. "Die müssen alle Täuflinge unterschreiben. Der Alte will das so. Zur Sicherheit."

"Also doch mein Todesurteil!"

"Quatsch! So schlimm wird’s schon nicht werden. Der Alte passt schon auf, dass wir’s nicht zu toll treiben."

"Hansi! Was erzählst du für eine Scheiße?!" Mischt sich der Irre wieder ein, "Der ist dran! Ob der Alte nun dabei ist oder nicht."

"Hör nicht auf den. Los unterschreibe schon! Das wir mit dem Spuk hier endlich fertig werden. Ich habe schließlich noch etwas anderes zu tun."

"Wie soll ich unterschreiben? Ihr haltet mir ja immer noch die Arme fest."

"Lass ihn los!" Befiehlt Hansi der Bäckerin. Die Bäckerin lässt los. Ich unterschreibe und der Spuk verschwindet so schnell aus meiner Kammer wie er gekommen war. Wenn alle so durchknallen wie der Koch, dann kann ich mir schon vorstellen, dass es bei der Taufe schon böse Verletzungen gegeben hat. Sonst hatte der eher schmächtige Koch in der Mannschaft nicht viel zu sagen. Aber hier spielte er sich auf. Schon halb im Schlaf schüttle ich meinen Kopf und schlafe noch einmal fest ein. Als ich dann zur üblichen Zeit im Waschraum stehe und mein verschlafenes Gesicht im Spiegel betrachte, kann ich den verwischten Stempel kaum noch sehen. Das muss so eine Art Dreizack gewesen sein. Aber so richtig deutlich kann man das nicht mehr erkennen. Ein Großteil der Stempelfarbe wird wohl im Kopfkissenbezug breit geschmiert sein. Das stört mich allerdings weniger.Vielmehr stört mich, dass ich jetzt mit meiner blauen Stirn zum Frühstück erscheinen muss. Den Rest des Stempels ganz und gar abzuwischen, traue ich mich doch nicht. Schließlich will ich den Haufen Verrückte nicht noch mehr provozieren. Neben meinem Namen, auf der Liste in der Messe, ist schon ein großes schwarzes Kreuz gemalt. Weil ich eben doch das Seewasser aus dem Maschinenraum geholt und nicht aus dem Klo geschöpft hatte. Aber nur damit hatte ich mir das Kreuz nicht verdient. Beim Deckshund ausführen hatte ich es nicht dabei belassen nur zu bellen, sondern ich hatte auch gebissen und zwar den Koch, als der mit einer alten Wursthaut vor meine Nase herum gewedelt hatte. Über das folgende Geschrei musste ich gerade jetzt wieder lachen. Als ich in die Messe komme, herrscht ein großes Hallo. Der Bootsmann inspiziert die Stempel auf den Stirnen der Täuflinge. Der Koch, mit dem irren Blick, hängt mit seinem Oberkörper aus der Kombüse heraus und kräht: "Jetzt kommt euer Galgenfrühstück!"

Alle anderen geben mehr oder weniger deftige Kommentare über den Ablauf der bevorstehenden Taufe. Die Täuflinge an der Matrosenback beteiligen sich kaum an dem sprachlichen Getümmel. Sondern wenden sich krampfhaft ihrem Frühstück zu. Bloß nicht auffallen. So bemerkt mich niemand als ich mich setze.

"Hey! Hast du was an die Murmel gekriegt?" ruft Schulle belustigt. Er hat meine blaue Stirn als erster bemerkt, weil ich ihm gegenüber sitze. Schlagartig richtet sich die ganze Aufmerksamkeit auf mich. Musste Schulle so in der Messe rum grölen? Jetzt höre ich den Koch wieder aus der Kombüse krähen: "Kalle! Den musst du besonders kontrollieren! Der steht auf meiner Liste." Sofort stürzt der Bootsmann auf mich zu. Er sucht das Zeichen, den Dreizack Neptuns, auf der Stirn und sieht nur noch die blaue Farbe, die meine Stirn schwer blutunterlaufen aussehen lässt.

"Er hat’s abgewischt!"

"Was?" kräht der Koch ungläubig, "Er hat das Zeichen abgewischt? Jetzt ist er dran! Das ist unser Probeläufer." ruft er jetzt vollkommen irre.

"Blödsinn!" versuche ich zu beruhigen, "Den Stempel habe ich mir aus Versehen beim Schlafen am Kopfkissen abgewischt."

"Das kann jeder sagen." grinst der Bootsmann."Jawohl! Das kann jeder sagen." kräht es aus der Kombüse. Ich schaue meine Kameraden an der Back an. Die grinsen und nicken nur. Jetzt wird es mir zu dumm. Ich schmeiße mein Besteck auf den Teller und drehe mich aus meinem Stuhl hoch.

"Ihr könnt mich alle mal am Arsch lecken! Hier ist es ja wie unter Irren. Werdet ihr auch mal wieder normal?"

Einer ruft: "Ja nach der Taufe."

"Aber das wirst du nicht mehr erleben. Telegramm neunundneunzig "Letzter Gruß von See"." kräht es wieder aus der Kombüse. Bloß raus hier aus diesem Beknacktenclub. Ich versetze meinem Stuhl einen Hieb. Dann stürme ich zur Tür heraus und knalle sie zu. Höhnendes Gelächter hinter mir.

"Arschlöcher!!" Drinnen dreht sich mein Stuhl rasend schnell um seine eigene Achse.

Hilfsdiesel Nummer zwei gründlich abzuchecken. Erst hatte ich mich maßlos über die Blöße geärgert, die ich den anderen am Morgen zum Frühstück, gezeigt hatte, doch mit der Arbeit, in die ich mich gestürzt hatte, geriet der Ärger immer mehr in den Hintergrund. Ich war gerade dabei alle acht Zylinder des Hilfsdiesels zu indizieren. Dabei öffnete ich einzeln die Indikatorventile, ließ einen Feuerstrahl heraus fauchen, schraubte dann das Indiziergerät, mit dem man entweder Balkendiagramme, oder aber eine so genannte Banane ziehen konnte, auf das Ventil. Mit Hilfe dieser Diagramme konnte ich Fehler bei der Zündung oder bei der Kompression entdecken. Ich drehe das Ventil auf und lasse die Nadel über das Spezialpapier tanzen, welches vorher von mir auf die Rolle gespannt wurde. Nachdem ich bei diesem achten Zylinder das Ventil wieder zugedreht hatte, springe ich von dem Podest auf dem ich die ganze Zeit stand, um mich beim indizieren über die sich schnell bewegenden Kipphebel beugen zu können. Mit zwei Fingern ziehe ich vorsichtig das Papier von der Rolle und betrachte die sauber nebeneinander liegenden Striche eingehend. Ich bin so vertieft in meine Arbeit, so dass ich nicht bemerke wie Schulle plötzlich neben mir steht. Beinahe hätte ich vor Schreck mein sauberes Diagramm auf die Flurplatten fallen lassen. Schulle zieht die linke Kappe von meinem Gehörschutz zur Seite und brüllt mir ins Ohr: "Ich übernehme deine Wache."
Ich schaue ihn verwundert an, dabei habe ich jetzt selbst meinen Gehörschutz ganz von meinem Kopf geschoben. Schulle brüllt weiter."Es ist Feierabend. Ich mache die Maschine jetzt Out-klar!"Ich tippe auf meine Uhr und schaue Schulle fragend an.
"Die Taufe!" brüllt Schulle, "Hast du die Taufe vergessen?"
Meine Miene verfinstert sich. Ich hatte die Taufe nicht vergessen. Sondern einfach verdrängt. Das Affentheater heute Morgen war mir einfach zu blöd. Freundlich brüllt Schulle weiter: "Dann lass dich mal nicht unterkriegen." Er schlägt mir freundlich auf die Schulter. Ihn hatte der Wahnsinn offensichtlich noch nicht gepackt.

mit diesen Worten werde ich vor der Mannschaftsmesse vom Bootsmann abgewiesen.
"Zum Henkersmahl!" höre ich noch den Koch aus seiner Luke krähen bevor der Bootsmann das Schott zur Mannschaftsmesse vor meiner Nase zuwirft. Ich zucke mit den Schultern. Dann gehe ich eben in die Monkey Messe Mittag essen. Ich laufe den Backbordgang vor. Dann gehe ich den vorderen Gang entlang, um nach Steuerbord zu gelangen. Den Gang an Steuerbord gehe ich wieder nach achtern, bis kurz vor die Kombüse. Hier kann ich schon den Koch durch die offene Kombüsentür herumwuseln sehen. Kurz vor der Kombüse führt ein Gang links nach draußen. An diesem kurzen Gang liegt die Monkey Messe. Alle Täuflinge haben sich schon versammelt. Sie sitzen alle da wie kurz vor der Vollstreckung des Todesurteils. Jeder nur bekleidet mit einer alten Badehose. Eine Ausnahme macht nur Harriet. Sie hat ihre Brust noch mit einem Bikinioberteil bedeckt. Alle starren mich an wie eine Erscheinung. Denn ich stehe in meiner normalen Alltagskleidung, Jeans und Hemd, in der Tür. Schließlich wollte ich zum Mittagessen gehen. Einer der Täuflinge fängt sich und fragt: "Sag mal, willst du dich so taufen lassen?"

Der Koch hat durch seine Luke die Szene beobachtet und jetzt, wie konnte es auch anders sein, hängt er sich mit rein."Ah, der feine Herr will sich im guten Zwirn taufen lassen. Wie in der Kirche, he!"

"Halt doch deine Fresse! Bullettenschmied!" Dem Koch klappt wieder das Maul zu. Noch bevor er wieder los krähen kann bin ich aus der Monkey Messe verschwunden. Ich ziehe mich um und erscheine wenige Zeit später, nur mit einer Turnhose bekleidet wieder in der Monkey Messe. Das Essen auf der Back ist schon ein Teil der Taufzeremonie. Der Koch hatte sich alle Mühe gegeben sein ältestes altbackenes Brot aufzuschneiden. Wahrscheinlich hatte er dazu eine Maschinensäge benutzt. Die halbwegs genießbaren Lebensmittel waren so verwürzt, das sie ungenießbar waren. Der ohnehin wenig beliebte Malzkaffee, war mit einem gehörigem Schluck Essig, zu einer undefinierbaren übel riechenden Brühe verkommen. Die Täuflinge sitzen an der Back und niemand rührt, verständlicherweise, etwas von dem Fraß an. Hier hatte der Koch viel Phantasie gezeigt, auch wenn sonst beim Kochen der alltäglichen Mahlzeiten bisher kaum etwas davon zu bemerken war. Sein Meisterstück allerdings, stand schon seit fünf Tagen an Deck, der tropischen Sonne ohne Pause ausgesetzt. Es war die Foolbrass.
Ein altes Farbfass mit angeschweißten Schlaufen aus Rundstahl. Darin sammelte der Koch die erlesensten Abfallstücke. Die Assis hatten auch schon eine Ladung Separatordreck dazu gegeben. Ein höllisch stinkendes Gebräu. Es hieß, dass die Täuflinge allesamt damit Bekanntschaft schließen würden. Der Koch konnte gar nicht genug davon kriegen, den Täuflingen zu erzählen, wie sie darin untergetaucht werden würden und das sie in der Foolbrass sitzend ihren Taufhaarschnitt verpasst bekämen. Ein echter Smutje, dachte ich mir, und ein Sadist obendrein. Ich konnte es kaum glauben, dass man uns in dieses stinkende Fass stecken würde.
"Na schmeckt es euch?" Der Storekeeper steckt sein dummes Gesicht durch die Luke. Er wedelt mit einem Stück Entenkeule. "Was gibt es denn bei euch Schönes? Also bei uns gibt es einen hervorragenden Entenbraten."

"Kann ich mir bei dem Koch nicht vorstellen!" sage ich mir. Der Storekeeper hantiert unterdessen weiter mit seiner Entenkeule so heftig herum, dass sich ein großes Stück Fleisch vom Knochen löst und klatschend im sauren Malzkaffee landet. Storekeeper, das war ein Eigentor! Alles lacht.Harriet, die der Kombüsenluke am nächsten sitzt, hält dem Storekeeper die Kanne unter die Nase und fordert ihn auf: "Warum fischst du das Stück Fleisch nicht wieder heraus? Jetzt ist es besonders delikat." Wieder haben die Täuflinge die Lacher auf ihrer Seite. Da mischt sich der Koch ein."Das Stück Fleisch kommt in die Foolbrass und dort könnt ihr davon kosten." Zum Storekeeper sagt er jedoch versöhnlich: "Warte ich gebe dir ein neues Stück Keule."
Die Auseinandersetzung von Koch, Storekeeper und Täuflingen hätte durchaus noch länger weitergehen können. Doch jetzt erscheinen mit martialischen Gebrüll, gekleidet in Phantasiekostümen aus der Putzlappenkiste, jeder ein aufgespleisstes Tau in der Hand, die Treiber.
Sie jagen alle Täuflinge aus der Messe hinaus an Deck, zwingen sie dort auf die Knie und lassen sie auf allen Vieren nach achtern kriechen. Draußen an Deck warten noch andere Treiber mit Feuerlöschschläuche. Sie halten die vollen Wasserstrahlen auf die Täuflinge und bringen damit die kleine Gruppe auf ein höheres Tempo. Dies geschieht unter großem Gejohle und einem großen Geschrei.
Ziel der großen Treibaktion ist das im achteren Deckshaus befindliche so genannte Kanackerscheißhaus. Dies ist ein ganz gewöhnliches Klo. Nur das es sich außerhalb jeglicher Schiffsaufbauten befindet. Es ist weder gefliest, noch hat es ein Fenster. Die Wände sind unverkleidete Stahlwände. Nur sind sie weiß lackiert. Eigentlich ist es dafür da, in den Häfen den Hafenarbeitern eine ordentliche Toilette bieten zu können, ohne das diese das Innere der Aufbauten unsicher machen konnten. Es wurden ohnehin gelegentlich Spuren ihrer Anwesenheit in den Luken gefunden. Heute aber wurde jenes Klo gründlich zweckentfremdet.
Es musste als Kerker für die neun Täuflinge, einer davon war ja weiblich, herhalten. Alle Neun werden in den kleinen Raum getrieben. Damit die Täufer, so wie der Matrose Plattfuß, der mit seiner Schuhgröße sieben oder achtundvierzig, seinen Spitznamen zu Recht trägt, sich beim Mittagessen noch einmal in Ruhe stärken können. Das Schott geht zu und wird verriegelt. Drinnen herrscht drangvolle Enge. Den besten Platz auf der Toilettenschüssel geben die männlichen Täuflinge Herriett.
Plattfuß, dessen Verstand im umgekehrten Verhältnis zu seiner Schuhgröße steht, macht es sich zum Vergnügen, nachdem er die Toilette durch eine oben liegende Öffnung, mit dem Feuerwehrschlauch, bis zur Hälfte geflutet hatte, mittels eines Vorschlaghammers, die Stahlwände zu bearbeiten. So das drinnen die Farbe abplatzt und die Täuflinge kurz vor der Taubheit stehen. Dies treibt er so lange bis der Chief, durch das Geschrei der Täuflinge herbeigelockt, es Plattfuß kategorisch verbietet. Er hatte dabei wieder seinen hochroten Kopf bekommen. Also ist es ihm ernst und Plattfuß legt den Vorschlaghammer beiseite. Das Klo lässt er jedoch geflutet.
So das sich auf die Treiber, als sie, nachdem sie alles für die Taufe vorbereitet hatten, Neptun und seine Braut nebst gesamten Gefolge angeputzt war und sie nun alle Täuflinge zur Schiffsübergabe durch den Kapitän an Gott Neptun, treiben wollten, eine Flutwelle ergießt. Die jetzt schon genervten Täuflinge werden aus ihrem Gefängnis gelassen und sofort wieder auf die Knie gezwungen. Wo das nicht richtig klappt wird mit dem Tauende nachgeholfen. Ein Deck- und ein Maschinenstift bekommen einen Jochbalken um den Hals gehängt, an dem die große Schiffsglocke angebracht ist.
Während sich der Zug, Täuflinge kriechend, Treiber treibend, wieder nach mittschiffs bewegt, müssen sie die Schiffsglocke läuten. Spontan fällt mir "The carpet crawl" von Genesis ein. Irgendwo hatte ich mal gelesen, dass dieser Titel von einer unheimlichen Gruppe Menschen handelt, die einen schier endlosen Gang entlang kriechen.
An einem auf das grüne Deck frisch gemalten weißen Strich hält dieser Zug. Dies sollte nun der symbolische Äquator sein.Sie stehen sich gegenüber. Das "heilige" Gefolge Neptuns, Neptun selbst, den stellte der Storekeeper dar, was für eine Fehlbesetzung, Neptuns Braut, dargestellt von der drallen Bäckerin, der Priester, dargestellt vom schnellen Horst, seines Zeichens Eisbär, wie die Kältemaschinisten an Bord bezeichnet werden. Gerade er ist die Starbesetzung. Er trägt seine hagere Gestalt, die an einen alternden spanischen Granden oder besser noch an Don Quichote, erinnerte, zur Schau.
Da ist noch das übrige Gefolge Neptuns. Die "ehrenwerten" Doctores, die Henker, die Bademeister, der Friseur und sein Gehilfe. Zuletzt ist da noch der Alte in seiner weißen Tropenuniform. Symbolisch übergibt er das Schiff an Gott Neptun. Auf der anderen Seite knien die Täuflinge. Jetzt beginnt die eigentliche Taufe. Der Alte, Neptun und sein Gefolge prosten sich mit Sekt zu, während die Täuflinge an Deck knien und jeden Wasserstrahl aus den Schläuchen begrüßen. Weil das Deck unter der Tropensonne immer heißer wird.
Nach der Schiffsübergabe werden die neun Täuflinge wieder in ihr Klo zurückgetrieben. Von hier werden sie dann einzeln zu ihrer ganz persönlichen Zeremonie geholt. Für mich, der ich ja durch meine Reibereien mit dem Koch, die meisten Minuspunkte gesammelt hatte, hielt man etwas Besonderes bereit. Ich durfte der so genannte Probeläufer sein. Ein höchst zweifelhaftes Vergnügen.
Es bedeutete nichts anderes als das ich der Erste aber auch der Letzte sein würde der den Parcour durchlaufen muss. Nach kurzer Zeit im engen Raum werde ich geholt und nach vorn getrieben.Neptun, seine Braut, der Priester und der Alte sitzen auf Luk drei und bilden das "heilige" Präsidium. Hier muss ich mich niederknien und Neptuns Füße küssen, die dick mit Senf bestrichen sind. Vom Priester wird mir der Eid abgenommen.
Dieser schließt mit den Worten: ".....und nun taufe ich dich auf den Namen "Buckel......"." Ein lautes Gejohle erhebt sich. So das ich nur noch "barsch" am Ende verstehen kann. Das war Absicht. Denn jeder Täufling wurde auf den einzelnen Stationen immer wieder nach seinen Taufnamen gefragt.
Wusste er ihn nicht so wurde er nochmals ins Taufbecken getaucht oder ihm wurde bei den "Doctores" noch eine bittere Pille von der Größe eines Tischtennniesballs, eingeflößt. Sein Taufname wurde nur noch einmal genannt, wenn er versprach eine ordentliche Menge Getränke für die Täufer zu stiften.


Es ist ein zwischen Lukensüll und dem Deckshaus gezimmertes Becken von zirka drei Meter Länge und zwei Meter Breite. Kalle, der Bootsmann und Etze, der Kabelgeist, erwarten mich schon. Sie stehen im Becken. Das Wasser reicht ihnen bis an den Bauch. Ehe ich begreife, was vorgeht, werde ich schon von den Treibern an Hände und Füße gepackt und mit Schwung ins Becken geworfen. Als ich wieder auftauche hat mich Kalle schon an den Haaren gepackt. Während Etze mir beide Arme hinten festhält. ich versuche mich zu wehren.
Aber Etzes Griff sitzt fest. Vor meinen Augen erscheint das grinsende Gesicht des Bootsmanns."Na mein Freund. Auf welchen Namen soll ich dich denn taufen?"


"Buckelbarsch!" schnaufe ich.
"Buckelbarsch?" Lacht der Bootsmann, "Was ist denn das für ein komischer Fisch? Ich glaube wir müssen dich erst noch einmal tauchen bis es dir wieder einfällt."


Kaum hat er das gesagt werden meine Beine weggezogen und ich tauche wieder unter. Zum Glück hatte ich vorher noch tief Luft holen können.
Ich spüre das Gewicht auf meinen Rücken, dass mich am auftauchen hindert. Etze oder Kalle? Einer von Beiden sitzt auf meinem Rücken. Ich versuche meine Luft so gut wie möglich einzuteilen. Doch irgendwann ist Schluss. Wollen die einen hier ersäufen? Langsam kommt Panik in mir auf. Ich versuche mich loszureißen um nach oben zu kommen. Ich schaffe es nicht und lasse große Luftblasen aus meinen Mund fahren. Plötzlich ist der Druck auf meinem Rücken weg. Im gleichen Augenblick werde ich an den Haaren an die Wasseroberfläche gezerrt. Wieder hat Etze meine Arme fest im Griff. Wieder erscheint das Grinsen des Bootsmanns vor meinem Gesicht.
"Na? Ist es dir wieder eingefallen wie du heißt?"
Ich schnappe nach Luft. „Hardy Riedel“
Kalle schüttelt bedauernd und doch belustigt seinen Kopf.
"Nein! Den kennen wir nicht. Wir wollen deinen Namen in Neptuns Reich hören."
Wieder tauche ich unter. Wieder zerrt man mich nach geraumer Weile hoch.
"Was gibst du aus wenn wir dir deinen Namen noch mal sagen?"
"Ne` Limo und `nen Keks." Sage ich atemlos. Ich will noch nicht aufgeben.
"Wie du willst!" Schon lande ich wieder im Wasser. Nach kurzer Zeit schon lasse ich wieder große Luftblasen aus meinem Mund. Diesmal mit Absicht. Ich vermute, dass die Beiden auf meinem Rücken gerade darauf warteten.
Wirklich! Ich werde sofort wieder nach oben gelassen. Diesmal bin ich nicht so außer Atem. Aber ich hatte beschlossen einzulenken.
"Was ist dir dein Name wert?" Höre ich den Bootsmann fragen."Also gut! Eine Kiste Bier!"
Triumphierend ruft der Bootsmann: "Hier wurde soeben eine Kiste Bier spendiert. Notiert das!" Zu mir sagt er noch: "Wir trinken zum Bier gern noch einen Köm."
Ich bin auch bereit den Schnaps zu spendieren. Die Taufe konnte ja nicht ewig gehen.
"Also gut den Schnaps gibt es auch noch dazu. Aber jetzt sagt mir meinen Namen."
"Du hast hier gar nichts zu fordern!" zischt Etze von hinten. Er hält meine Hände immer noch fest. Kalle ruft: "Notiert noch eine Flasche Schnaps!" Dann ruft er noch: "Der Priester möge kommen!"


Horst kommt mit seiner ganzen gespielten Würde ans Becken. Salbungsvoll ruft er: " Dein Name ist....."Wieder setzt das Gegröle ein. So einfach wollten sie es mir doch nicht machen. Aber "Brust" und "bunt" hatte ich verstanden. Ich überlege. Was sollte das für ein merkwürdiger Fisch sein? "Buckel" hatte ich gleich am Anfang verstanden. "Brust - bunt" gerade eben und dann war noch "barsch". "Buckelbrustbuntbarsch", was ist das für ein Fisch? Da hat jemand das große Lexikon der Aquarianer mit an Bord. Egal! Mein Taufname ist "Buckelbrustbuntbarsch" und den vergesse ich jetzt ganz bestimmt nicht.


Klatsch! Ich lande wieder im Wasser. Das kommt jetzt so überraschend, dass ich keine Zeit zum Luft holen hatte. Zu allem Überfluss schlucke ich jetzt Wasser. Ich will sofort wieder auftauchen. Aber das Gewicht auf meinem Rücken ist wieder da. Das Wasser in meiner Kehle reizt mich zum Husten. Ich kann die verbleibende Luft nicht mehr anhalten. Dicke Luftblasen steigen nach oben. Aber Kalle und Etze achten nach so kurzer Zeit noch nicht darauf.
Panik steigt in mir auf, viel heftiger als bei meinem ersten Tauchgang. Ich strampele, ich versuche mich gegen das Gewicht zu stemmen aber es gelingt mir nicht. Jetzt ist die Panik überall in mir. Doch jetzt löst sie Kräfte aus, die ich noch nie bewusst gespürt habe. Überlebenskräfte, die vielleicht doppelt oder dreifach so hoch sein mochten als die Kräfte, die ich bewusst einsetzen konnte.
Mit einem Urschrei, der schon unter Wasser beginnt, stemme ich mich gegen die Kraft, die mich nach unten drückt. Jetzt schaffe ich es. Ich schieße aus dem Wasser heraus.Etze, der auf meinem Rücken gesessen hatte, wird wie ein nasser Sack aus dem Becken geschleudert. Kalle taumelt gegen den Beckenrand und stürzt rücklings aus dem Becken an Deck. Schrecksekunden bei Allen. Danach Belustigung bei Einigen und Reaktion bei anderen, die in das Becken springen und zu viert meine entfesselte Überlebenskraft zu bändigen versuchen. Nach diesem Auftritt hatten die beiden Bademeister keine rechte Lust mehr mich zu tauchen. Obwohl ich nur eine Kiste Bier und eine Flasche Schnaps spendiert hatte. Aber wenn schon. Sollten sich die anderen mit mir befassen. Ich werde an die nächste Station weitergereicht. Eigentlich kann man nicht von weiterreichen sprechen. Ich werde vielmehr getrieben. Kaum hat man mich gebändigt schon zerrt man mich aus dem Becken, zwingt mich mit Hilfe von Tauenden auf die Knie und treibt mich um die Luke herum zum Behandlungsstuhl der beiden "Doctores".
Der Behandlungsstuhl ist eine aus groben Brettern gezimmerte Sitzgelegenheit. Eine Bürste ist längs über die Sitzfläche genagelt. Auch sind Möglichkeiten zum fesseln des "Patienten" vorhanden.Die "Doctores" arbeiten mit selbst gedrehten Pillen. Aus was die bestehen wissen natürlich nur sie und der wahnsinnige Koch. Es ist ja auch egal. Sie schmecken jedenfalls furchtbar. Auch ekelhaft ist die salzige Heringsbrühe mit der nachgespült wird.
Die gesamte Mixtur kann man getrost als Brechmittel bezeichnen. Das Wasserglas voll mit warmen Wodka, der jetzt mir eingeflößt wird, in dem man mir die Nase zuhält und nur darauf wartete bis ich durch den Mund nach Luft schnappte, rundet den Brechcocktail ab.
Ich kann mich nicht wehren. Ich bin mit Stricken an Händen und Füßen gefesselt und kann nur mit meinem Kopf schütteln um den Brechreiz niederzukämpfen. Es gelingt mir und so spüre ich bald nur noch die Wirkung des Wodkas in meinem Kopf und in meinen Beinen. Bevor ich an den "Henker" weitergereicht werde, spülen die Treiber mich mit dem C - Strahlrohr gründlich ab. Ich spüre das Rumoren in meinem Bauch. Bloß nicht speien. Speien konnte ich noch nie leiden.


Denn meine weichen Knie lassen mich sofort zusammensinken. Aber das stört mich nicht. Ich habe eine warme weiche Wodkawolke in meinem Kopf. Darin versinken alle Eindrücke von außen.

Auf der Streckbank angebunden, versucht mich der Henker, den Dietel spielt, zum Lachen zu bringen, in dem er mir mit zwei Bürsten an seinen Seiten entlang schrubbt. Aber ich spüre es kaum. Ich bin benebelt. Ich werde den anderen im Kahnackerscheißhaus empfehlen den warmen Wodka zu schlucken. Denn seine Wirkung ist bei der weiteren Behandlung nur vorteilhaft.

Selbst der gemeinste aller Tricks hebt mich nicht sonderlich an. Der Henker und sein Gehilfe, trotz seiner roten Kapuze ist Plattfuß in dieser Rolle leicht zu erkennen, drehen mich auf der Folterbank von der Rückenlage in die Bauchlage. Vor meinen Augen macht Plattfuß ein Brenneisen in Form eines Dreizacks, mit Hilfe einer Lötlampe rot glühend. Dietel steht hinter mir bereit um alles Weitere zu tun.
Blitzschnell gibt Plattfuß das Rotglühende Brenneisen an einen der Treiber weiter. Ich kann nicht sehen was jetzt hinter mir geschieht. Zeitgleich drückt der Treiber das Brenneisen in eine dicke Speckschwarte, während Dietel die Turnhose herunterreißt und ein großes Stück Eis auf den entblößten Arsch legt. Qualm steigt von der Speckschwarte auf. Es riecht nach verbranntem Fleisch.
Die Kälte des Eises spüre ich wie eine Verbrennung. Das ist ein Effekt, der eigentlich noch nie seine Wirkung verfehlt hat. Aber meine Gedanken gehen zu langsam um mich zu schocken. Die meisten, die diese Behandlung schon einmal hinter sich hatten, glaubten wirklich einen Moment tatsächlich jetzt ein Dreizack als Brandmal auf dem Hintern zu haben. Das Geschrei war dann immer groß. Bei meiner Reaktion waren alle enttäuscht. Dennoch gebe ich immer wieder Bier und Schnaps aus, um es endlich hinter mir zu haben.
Man schnallt mich von der Folterbank und ich glaube mich schon erlöst. Doch ich irre mich. Ich hatte den Friseur vergessen. Das wird mir erst bewusst als ich von den Treibern angehoben werde und tatsächlich in der stinkenden Foolbrass verschwinde.

Schnell ist um meinen Hals und um beide Hände ein Jochbalken gelegt und festgemacht. Eine wirklich unbequeme Stellung nehme ich nun in dem engen Fass ein. Ich hocke eher. Die Fersen stoßen an die Rückwand des Fasses während meine Knie sich an der Fasswand gegenüber jetzt endgültig wund scheuern.
Dazu kommt das eklige Gefühl völlig von der stinkenden breiigen Masse umgeben zu sein. Ich kann den Inhalt des Fasses nicht sehen. Aber das ist ein schwacher Trost. Denn die gärenden Küchenabfälle stinken erbärmlich. Übelkeit steigt in mir hoch. Übelkeit die ich nicht mehr unterdrücken kann. Da kotze ich den Inhalt meines Magens zum Inhalt des Fasses dazu. Ein Teil des Erbrochenen bleibt auf dem Jochbalken liegen.
Aber schon sind die Friseure zur Stelle. Sie haben die gefährliche Situation erkannt und befürchtet ich könne ersticken. So befreien sie mich wenigstens vom Jochbalken. Ich kann mich jetzt ein wenig aufrichten. So das meine Knie nicht mehr am Fass scheuern können. Der Jochbalken war auch gar nicht mehr nötig denn ich wehrte mich nicht mehr. Völlig apathisch lasse ich alles über mich ergehen und warte bis es vorbei sein würde. Um das ganze zu beschleunigen gebe ich eine Kiste Bier nach der anderen und eine Flasche Schnaps nach der anderen aus. Der Haarschnitt den man mir verpasst ist nur noch eine reine Formsache. Das gilt im wahrsten Sinne des Wortes.
Man zeigt mir zwar eine Tafel auf der alle zur Auswahl stehenden Tauffrisuren aufgezeichnet sind. Da gibt es Frisuren mit so klingenden Namen, wie Mexikanische Bürste, mongolische Skalplocke, Kreuz des Südens und zuletzt Halb und Halb. Es ist für den Täufling jedoch sinnlos eine Auswahl zu treffen. Letztlich verpasst man ihm einfach einen Haarschnitt, der den Friseuren gerade am besten gefällt. So ist es auch bei mir. Die Friseure waren sich einig. Für mich kam nur Halb und Halb in Frage.
Sie rasieren mir also die rechte Hälfte des Haupthaares ab und dann die linke Hälfte des vorher so üppigen Vollbarts. Die Schönheit dieses Haarschnitts, der jeden abgefahrenen Punker vor Neid erblassen ließe, konnte man aber erst am Abend sehen, als meine Haare wieder trocken waren.
Jetzt wurde ich aber erst einmal aus der Tonne gehoben und zurück ins Kanackerscheißhaus gebracht. Diesmal verzichten die Treiber jedoch darauf mich auf die Knie zu zwingen. Der Alte hatte die blutenden aufgeschundenen Knie gesehen und es ihnen mit einem Handzeichen verboten.So finde ich mich völlig erschöpft, stinkend, schwarz und blau gefärbt vom Separatordreck und von der Tuschierpaste, im Kanackerscheißhaus im Kreise der anderen Täuflinge wieder.
Nacheinander werden die anderen geholt. Sie kommen aber nicht wieder zurück. Sie werden von der Taufe direkt unter die Dusche geschickt. Schon bald stehe ich ganz allein im Scheißhaus. Dann werde ich abgeholt. Ich glaubte die ganze Tortour noch einmal machen zu müssen. Aber ich wusste nicht, dass der Alte den zweiten Durchlauf nicht erlaubt hatte. So bin ich heilfroh als die Täufer mich nach einem Kniefall vor Neptun zum duschen schicken. Ich musste also nur bis zuletzt im Scheißhaus ausharren. Dies war die Rache des Kochs.


...einträchtig nebeneinander auf dem Palaverdeck beim feiern.Vorher waren die Täuflinge dazu verdonnert worden die Sauerei an Deck aufzuklaren. Dann galt es die Tauffeier vorzubereiten. Die Täufer hielten sich die Täuflinge gefügig, in dem sie drohten, die Taufscheine zu zerreißen, wenn die Täuflinge nicht spurten.
Die Taufscheine sollten als Höhepunkt des Abends verteilt werden. So sitzen sie alle auf dem Palaverdeck, fressen und saufen und niemand nimmt dem anderen etwas übel. Der Koch hat es direkt einmal geschafft ein vernünftiges kaltes Buffet auf die Beine zu stellen. Die Getränke sind ja sowieso von den Täuflingen gestiftet worden. Anfangs hatte man sich noch mächtig über das Aussehen der Täuflinge amüsiert aber das ließ bald nach. Wenn ein Außenstehender dazu gekommen wäre, der hätte sich schon über den Aufzug Einzelner gewundert. Aber in der Beziehung bestand ja wirklich keine Gefahr. Man war unter sich hier auf hoher See westlich von Afrika.
Diese Geschichte wurde in "Seemannsschicksale"
veröffentlicht.
















Montag, 28. Januar 2008

Das erste Mal Wismar

Hardy Riedel

Im Frühsommer 1978 hatte die „Eisenberg“ in Wismar festgemacht. In diesem Jahr war dies ihre erste Liegezeit in Wismar. Ich, Vollmatrosenlehrling im zweiten Lehrjahr, nutzte die Freiwache für einen ersten Erkundungslandgang. Die Stadt betrat ich durch das alte Wassertor am Hafen. Völlig ohne Ortskenntnisse fand ich schon bald den Marktplatz, den ich in seinem ganzen Umfang einmal ablief. Dieses Ritual diente der Orientierung. Ich wusste jetzt wo ich war und in welche Richtung ich weitergehen wollte. Meine Wahl fiel auf die Straße, die sich genau am Entgegengesetzten Ende vom Ausgangspunkt meiner Runde befand.
Hier endete schon nach kurzer Zeit meine Erkundung vor einer eher unscheinbaren Milchbar.
Nichts ahnend trat ich ein.
Etwas verräuchert, das Licht im ersten Moment schummrig, erkannte ich erst recht spät den
E - Mix meines Schiffes.
Er, alles andere als ein Kind von Traurigkeit, hatte sich schon in aller Frühe nach Rostock zur regelmäßigen Seetauglichkeits- Untersuchung aufgemacht.
Jetzt sah ich ihn hier in einer Milchbar vor einem Glas Milch sitzend. Jedoch wirkte er wie immer, etwas angetrunken.
Da stimmte etwas nicht.
Unsicher grinsend trat ich an seinen Tisch und versuchte einen Scherz: „Hat dir der Arzt endlich den Alkohol verboten?“
„Pah!“ winkte er ab, „Das glaubst auch nur du, Saustift!“
Nebenbei hatte er aus seiner Lederjacke einen zerknüllten Zehnmarkschein herausgefischt und wedelte damit vor meiner Nase herum. Mit der anderen Hand führte er sein Milchglas zum Mund und kippte den restlichen Inhalt in einem Zug herunter.
Jetzt lallte er: „Hol mal zwei Träume bei Muttchen!“
„Zwei Träume bei Muttchen“ Das klang wie die obligatorische Lehrlingsverarsche.
In der Nähe der Bar schnappte ich dann doch die Wörter „Träume“ und „Muttchen“ auf. Also war doch etwas dran.
Erst jetzt rief ich jener Frau, die ich nun für „Muttchen“ hielt, „zwei Träume“ zu.
Mit zwei Gläser Milch und wenig Wechselgeld kam ich zum Tisch zurück. Der E-Mix schien zufrieden zu sein.
„Prost!“ die Gläser krachten zusammen. Er nahm einen tiefen Schluck, ich nahm einen tiefen Schluck. Erst jetzt wurde mir klar, die zwei Gläser Milch waren inhaltlich nicht, wie vorher geglaubt, zu teuer. Vielmehr hatte ich für mich den Weißen Traum entdeckt.

Für immer abgemustert

Hardy Riedel

Im September 1976 begann ich meine Lehre bei dem damaligen VEB Deutfracht/Seereederei Rostock. Meine Ausbildung erfolgte zunächst landseitig in der BS Flotte in Rostock, später dann auf dem damaligen Lehrschiff MS GEORG BÜCHNER. Das zweite Lehrjahr und die Ausbildung zum Vollmatrosen M oder Maschinenassistent erfolgte auf MS EISENBERG. Im Jahre 1978 schloss ich meine Lehre ab und fuhr anschließend als Maschinenassistent auf Schiffen im Flottenbereich „Spezial“. Ein bis dahin ganz normaler Werdegang beim VEB DSR.Ich lernte meinen Beruf immer besser kennen und lieben und schmiedete bereits Pläne für mein berufliches Fortkommen. Einer guten Zukunft stand scheinbar nichts im Wege.

Bis zum Oktober 1982. Da stürzten nicht nur meine beruflichen Pläne wie ein Kartenhaus zusammen, sondern es wurde auch meine gesamte Existenz bis in die Grundmauern erschüttert.
Was war geschehen?Meine Mutter war nach einer Besuchsreise in Frankfurt a.M. nicht zurückgekehrt.


Ich befand mich zu dieser Zeit auf MS HEINRICH HEINE.

Seit Juni 1982 gehörte ich dort zur Besatzung. Wir waren gerade auf einer Reise nach Klaipeda (Litauen), also ziemlich weit östlich oder rechtsherum, wie wir Seeleute immer dazu sagten.
Mit einer Ladung Schweinehälften lagen wir im Hafen von Klaipeda. Da wurde ich am Vormittag des 13. Oktober 1982 zu Kapitän Wolfgram gerufen. Er hatte ein Telex der Reederei erhalten, in dem die Weisung stand, mich umgehend an Bord des MS VOCKERODE zurück nach Rostock zu schicken. Der plötzliche Rückruf überraschte und beunruhigte mich gleichermaßen. Das konnte nichts Gutes bedeuten, zumal Kapitän Wolfgram ebenfalls keine Erklärung hatte. Er versuchte mich mit einer eventuell bevorstehenden Einberufung zur Armee zu beruhigen. Aber damit lag er weit daneben, wie sich schon bald an Bord des MS VOCKERODE herausstellen sollte. Auf Reede Warnemünde saß ich mit anderen Besatzungsmitgliedern in der Messe, als der Bordfunker kam und mir sagte, ich hätte mich am nächsten Tag im Flottenbereich, Zimmer 18, einzufinden. Alle sahen sie mich jetzt mitleidig an. Jeder wusste, was das bedeutete.
Nie werde ich den Zynismus vergessen, mit dem mich dort diese berühmt berüchtigte Frau vom Wegbleiben meiner Mutter in Kenntnis setzte und mit welchem Genuss sie mir dann das Seefahrtsbuch entzog.

Jetzt war ich ein so genannter Hafenspringer. Viele werden wissen was das bedeutete. Ich war Hafenspringer, zumindest bis Ende des laufenden Jahres. Der VEB DSR hätte sonst bei einer erzwungenen Kündigung vor Ablauf der Jahresfrist in seiner „Großzügigkeit“ meinen Anspruch auf Jahresendprämie gestrichen.
Von nun an mussten ich und meine Familie mit jedem Pfennig rechnen.
Nie werde ich die Rosenbeete vor dem Reedereigebäude vergessen, die ich als Springer von Unkraut befreien musste. Ich werde nicht vergessen, wie ehemalige Schiffskameraden vorbeikamen und mich nach meinem Berufswechsel zum Gärtner befragten.
Ich werde die Nacht nicht vergessen, in der ich nicht wusste, wo ich schlafen sollte, nachdem man mich von dem Schiff, auf dem ich tagelang Kohleluken gefegt hatte, am späten Nachmittag herunterwarf.
Im Springerbüro hatte man längst Feierabend gemacht. Niemand vermittelte mir ein neues Schiff, auf das ich „springen“ konnte. Niemand vermittelte mir ein Bett im ständig belegten „Haus Sonne“.
In dieser Zeit musste ich nochmals zu dieser Frau - eine Kollegin von ihr war ebenfalls anwesend.
Man sagte mir jetzt ganz offen, dass ich mein Seefahrtsbuch in meinem ganzen Leben nicht mehr zurückerhalten würde. Also, - für immer. Ich wurde zur Kündigung gezwungen, „im beiderseitigen Einvernehmen“, wie es später hieß.
Vergessen werde ich auch nicht die Suche nach einer neuen Arbeit in meinem damaligen Heimatort Zwickau. Es gab mehrere Betriebe die mich eingestellt hätten. Als sie jedoch den Grund meiner betrieblichen Veränderung hörten, nahmen sie sehr schnell Abstand von einer Einstellung. Es war, als hätte ich ein „Kain-Zeichen“ auf der Stirn. Selbst das Reichsbahn Ausbesserungswerk Zwickau brauchte nach anfänglichem Interesse plötzlich nur noch einen Koch.
Aber ein anderer Betrieb stellte mich letztendlich doch ein. In einem Zeichenbüro für 530,- M Netto im Monat.
Von heute auf morgen musste ich mich als Seemann, der mit Herz und Seele dabei war, auf ein Landleben unter denkbar ungünstigsten Bedingungen einstellen. Bekannterweise fällt dies allen Seeleuten schwer, selbst wenn sie den Umstieg aufs Landleben lange und gründlich vorbereitet haben.
Trotz all dieser widrigen Umstände hatte ich ein berufliches Fortkommen noch nicht vollständig aus den Augen verloren. Ich wollte mich jetzt in meinem neuen Umfeld beruflich weiterentwickeln. Fortan bemühte ich mich um ein Fachschulstudium auf dem Gebiet des Stahlbaus.
Dabei erfuhr ich sogar die Unterstützung meiner nächsten Vorgesetzten.
Diesmal gab mir das Wehrkreiskommando diese Unterstützung nicht, denn ich sollte jetzt erst einmal meinen Wehrdienst ableisten. Mit 25 Jahren wurde ich zum Wehrdienst einberufen. Für mich war jetzt meine berufliche Laufbahn endgültig den Bach runter.
Nachdem ich dann mein „Vaterland“ beim Schwarzaufwasch in einem Offizierskasino verteidigen durfte, galt es anschließend den Lebenserhalt meiner Familie finanziell zu sichern. Ich arbeitete als Betriebsschlosser wieder in dem Betrieb, wo ich vorher als Zeichner tätig sein konnte. Nun folgte eine Zeit in der ich als „sozialistischer Helfer“ ins RAW Zwickau zwangsdelegiert wurde. Plötzlich war ich dort gefragt, - obwohl kein Koch. Es vergingen weitere fünf Monate, von August bis Dezember 1986, mit niedrigen Hilfsarbeiten in der Containerreparatur.
Während dieser Zeit standen in fast allen Zeitungen Anzeigen, in welchen der VEB DSR fahrendes Personal suchte. Neue Hoffnung keimte in mir auf. Vielleicht gab man mir noch diese Chance. Ich bewarb mich.
Ich vergaß aber dabei, dass man mir schon 1982 sagte, dass ich nie wieder ein Seefahrtsbuch erhalten würde. Die Ablehnung empfand ich nur noch als Hohn. Ich hatte die Qualifikation, aber man stellte lieber ungelernte Leute ein. Form und Inhalt des Bescheids waren eine einzige Provokation. Ich ließ nicht locker und bekam eine weitere Absage. Wieviel Ungerechtigkeit kann ein Mensch ertragen?
Für mich war jetzt das Maß voll. In diesem Land, das mein Vaterland sein wollte, hatten meine Familie und ich nichts mehr verloren.
Am 29. Dezember 1986 stellten wir den Antrag auf „Genehmigung zur Änderung unseres Wohnsitzes und ständigen Aufenthaltes von der DDR in die Bundesrepublik Deutschland, sowie auf Entlassung aus der Staatsbürgerschaft der DDR“.
Kurz gesagt, wir stellten den Ausreiseantrag und wurden somit zu einem der Steine, die losrollten und die Lawine auslösten, die schließlich zum Fall der Mauer und dem Ende der DDR führte.
Am 22. März 1989 siedelte ich mit meiner Familie aus der damaligen DDR in den „Westen“.
Zwei Jahre Nervenkrieg, zwei Jahre Gradwanderung zwischen Gefängnis und Freiheit waren vorbei.
Im September 1991 erreichte mich an meinem Wohnort in den alten Bundesländern die Mitteilung, dass es bei der DSR Rehabilitationsverfahren und Entschädigungen für Seeleute gäbe, die aufgrund von politischen Entscheidungen ihren Beruf in der DDR-Zeit nicht mehr ausüben durften.
Am 23.9.1991 schrieb ich einen Brief an die Deutsche Seereederei GmbH und stellte meine Forderung, ein solches Rehabilitationsverfahren durchzuführen.
Am 22.10.1991 erhielt ich ein Antwortschreiben - mit der gleichen Kälte und dem gleichen Zynismus wie ich es schon aus DDR-Zeiten kannte. Zorn steigt immer noch dann in mir hoch, wenn ich lese: „Die Betriebsleitung des VEB DSR hatte sich aus Gründen der Kulanz Ende 1989 entschieden, für Seeleute, die infolge politischer Entscheidungen durch den Entzug ihres Seefahrtsbuches den Beruf nicht mehr ausüben konnten, ein betriebliches Rehabilitationsverfahren durchzuführen. …Das betriebliche Verfahren war zeitlich bis zum 2.10.1990 begrenzt.“ Wie kann man solch einen Anspruch in solch einer Kürze begrenzen? Waren der Entzug meines Seefahrtsbuches und die Folgen etwa auch zeitlich begrenzt?
Da mich die Nachricht über laufende Rehabilitationsverfahren eher zufällig erreichte, stellt sich mir die Frage: „War es Absicht, dies nicht bundesweit publik zu machen? Wollte man das Mäntelchen der Wiedergutmachung billig erkaufen? Diese Maßnahme war bestimmt nicht ehrlich gemeint!
Am 7. 11. 1991 schrieb ich wieder an die DSR GmbH, erhielt aber keine Antwort mehr.
Man war sicherlich wieder zur Tagesordnung übergegangen. Der Betrieb war billig übernommen, das Geschäft war getätigt, - um die Altlasten sollten sich andere kümmern. Die Deutsche Einheit war zwar vollzogen, aber leider nur auf dem Papier, bei der DSR, genau wie in den meisten der anderen „alten“ Betriebe.
Der erste Schritt zur Deutschen Einheit sollte Vergangenheitsbewältigung und nicht Vergangenheitsverdrängung sein.
Nach 17 Jahren ohne Seefahrt heuerte ich 1999 auf der „Deutschland“ an. Als Plumper, - ich hatte ja vorher nie ein richtiges Patent machen können.
Dort traf ich dann auch auf viele ehemalige DSR-Kollegen.
Arglos erzählte ich meine Geschichte. Da wurde, für Unbeteiligte sicher kaum zu verstehen, aus Kollegialität plötzlich Ablehnung, - auch hier Vergangenheitsverdrängung statt Vergangenheitsbewältigung??? -. Meine letzte Chance, wieder in meinem Traumberuf arbeiten zu können, war verwirkt.
Aber, eine Genugtuung bleibt mir, ein Seefahrtsbuch befindet sich heute wieder unter meinen Papieren.
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